Hörschwächen stehen in engem Zusammenhang mit dem demografischen Wandel in der Europäischen Union. Der Hörsinn beginnt sich ab dem 40. Lebensjahr zu verschlechtern, und Schätzungen zufolge haben mehr als 50% der über 60-Jährigen einen gewissen Grad an Hörverlust.
Der demografische Wandel und altersbedingte Hörverluste werden in der Europäischen Union zu einer steigenden Zahl von Hörgeschädigten führen. Schätzungen der Zahl der Menschen mit verschiedenen Hörbehinderungen in der EU Anfang der 90er Jahre gehen von 6% der Schwerhörigen und 0,1% der Gehörlosen aus. Professor Adrian Davis vom Institute of Hearing Research (IHR) in Großbritannien schätzt, dass bis 2005 in Europa insgesamt 81.536.000 Erwachsene einen Hörverlust erleiden werden. Bis 2015 werden es 90.588.000 sein. Diese Zahl zeigt, dass mehr als 14% der Erwachsenen in Europa Hörprobleme haben werden. Was die Kinder betrifft, so schätzt die IHR, dass es in Europa insgesamt 174.000 Kinder mit starker Hörminderung und weitere 600.000 mit leichter Hörminderung gibt. Diese Statistiken machen die hörbehinderte Bevölkerung zu einer der größten Minderheiten, die mit der Herausforderung konfrontiert sind, dass die Kommunikation hauptsächlich audio-basiert ist.
In Europa hat sich zwischen den 1970er Jahren und heute die früher als „Industriegesellschaft“ bekannte „Informationsgesellschaft“ gewandelt. Auch als „Wissensgesellschaft“ bezeichnet, konzentriert sich dieser Begriff mehr auf frei verfügbare Informationen für jeden Bürger. Dieser Fokus wurde korrigiert, um den Fluss des Wissens zu beschreiben, anstatt den Begriff „Kommunikationsgesellschaft“ zu verwenden. Obwohl die Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) die visuelle Kommunikation in Form von Briefen, Faxen, SMS (Short Message Service) und E-Mails ermöglicht, ist die wichtigste und vor allem spontane Form des Informationsaustausches zwischen Individuen immer noch audio-basiert: TV, Radio, Telefon/Handy und persönliches Gespräch. Hörgeräte sollen Hörgeschädigte unterstützen, aber die Akzeptanz und Nutzung solcher Geräte wird sowohl von psychosozialen Faktoren als auch von der Leistungsfähigkeit des Hörgerätes selbst beeinflusst.
Neben den Hörgeschädigten, die zufriedenstellend von unterstützenden Geräten profitieren, können zwei weitere, größere Gruppen identifiziert werden:
potenzielle Nutzer, die kein Hörgerät besitzen
Benutzer, die ein Hörgerät besitzen, es aber nicht benutzen
Statistiken zeigen, dass Personen mit Hörproblemen im Durchschnitt sieben Jahre warten, bevor sie Hilfe suchen, und 75 % der Hörgeschädigten, die von einem Hörgerät profitieren könnten, besitzen keins. Die restlichen 25% der Benutzer, die bereits ein ALD besitzen, nutzen es nicht unbedingt. Anwender beklagen sich regelmäßig, dass Hörgeräte „empfindliche Geräte sind, die oft nicht richtig funktionieren“. Diese Beschwerden haben mehrere Gründe: 1) Hörgeräte müssen angepasst werden. Anpassen ist der Prozess der Parametrisierung eines Hörgerätes, um ein einzelnes Ende-user′s persönliche Bedürfnisse für seine einzigartige Hörbehinderung „anzupassen“. 2) Der Anpassungsprozess führt in der Regel nicht sofort zu zufriedenstellenden Ergebnissen und erfordert daher mehrere Besuche beim Hörgeräteakustiker zur Nachjustierung. Abhängig von den Umständen (Schweregrad der Hörbehinderung, Qualität des Hörgerätes, Kompetenz des Hörgeräteakustikers, Kooperationsbereitschaft, Reisebereitschaft usw.) kann ein Benutzer zu dem vorzeitigen Schluss kommen, dass das Gerät unbrauchbar oder fehlerhaft ist. 3) Außerdem ist das Ohr eine relativ raue Umgebung für die miniaturisierte Elektronik. Beispielsweise kann das auditorische Cerumen von canal′s die winzigen Mikrofone des Hörgerätes verstopfen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Hörgeräte aus diesem und ähnlichen Gründen zur Reparatur eingeschickt werden müssen. Schließlich werden einige Benutzer mit dem Prozess frustriert und hören folglich auf, das Hörgerät zu benutzen. Das teure Hörgerät kann dann in einer Schlafzimmerschublade unbenutzt bleiben und unbrauchbar werden.
Das HaH-Projekt will die Hörgerätefunktionalität innerhalb einer gemeinsamen digitalen TV/STB-ähnlichen Home Information and Communication (HIC)-Plattform „verstecken“. Auf diese Weise wird die Akzeptanzbarriere auf ein Minimum gesenkt. Gleichzeitig kann der vorhandene TV-Bildschirm genutzt werden, um die Verständlichkeit durch visuelle Unterstützung zu erhöhen. Reine Audiosignale (z.B. Telefongespräche) liefern keine zusätzlichen visuellen Informationen, die z.B. ein Lippenlesen ermöglichen. Auch Videostreams bieten diese Unterstützung im Allgemeinen nicht.
Einige weitere Beispiele sind:
Eine Nachrichtendokumentation, in der ein Sprecher (typischer Hintergrund-Sprecher) eine Szene kommentiert, die gezeigt wird. Der Sprecher selbst und sein Gesicht sind nicht zu sehen und daher kann die Schwerhörigkeit nicht durch eine solche visuelle Unterstützung unterstützt werden.
Europa ist polyglott und Fernsehprogramme werden oft in einer anderen Sprache produziert als das Land, aus dem sie ausgestrahlt wurden. In diesem Fall wird der Audiostream oft in die Muttersprache synchronisiert. Die Mimik der Schauspieler bleibt jedoch unverändert und bietet keine Unterstützung.
Szenarien, in denen mehr als ein Sprecher gleichzeitig anwesend ist (z.B. Streit in einer TV-Talkshow) oder wenn andere laute, konkurrierende Hintergrundgeräusche vorhanden sind (z.B. Explosionen in TV-Actionfilmen).
Diese Szenarien werden derzeit von der Synface-Technologie nicht abgedeckt. Möglichkeiten, solche Szenarien zu erkennen und auf der Synface-Schnittstelle darzustellen, werden ebenfalls im Rahmen des HaH-Projekts untersucht.
Neben der direkten Kommunikation ist auch die Heim-Ereigniserkennung audio-basiert. Zum Beispiel eine klingelnde Türklingel oder ein Schlussalarm eines Mikrowellenherdes oder einer Waschmaschine sind Ereignisse dieser Art. Nicht selten werden hohe Pieptöne von älteren Menschen übersehen. Dies ist eine Folge der Tatsache, dass das Gehör ab dem Alter von etwa 40 Jahren vom Hochfrequenzspektrum nach unten abnimmt.
Das HaH-Projekt wird diese besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Hörbehinderungen, insbesondere von älteren Menschen, durch die Entwicklung und Integration der oben genannten HIC-Plattform berücksichtigen. Dieses IKT-Gerät muss so konzipiert sein, dass es eine sehr niedrige Akzeptanzbarriere aufweist. Das endgültige integrierte System soll leistungsstarke unterstützende Audiosignalverarbeitungstechnologien (SASP) zusammen mit einer visuellen Lippenlese-Unterstützung und einfachen Anpassungsmöglichkeiten für den einzelnen Endbenutzer bieten. So wird das HaH-Projekt hörgeschädigten Bürgern den Zugang zu Informationen zu Hause, Home Entertainment, Home Automation, Home Care und persönlicher Kommunikation ermöglichen und somit die Zeit verlängern, in der hörgeschädigte Menschen, insbesondere ältere Menschen, in ihrer bevorzugten Umgebung selbstständig kommunizieren und leben können.